Was machen Sie beruflich?
Ich arbeite als Referentin für Integrationsdienste beim Malteser Hilfsdienst e.V. und als Theaterpädagogin, u.a. leite ich die Theater-AG der Marienschule in Limburg.
Warum haben Sie diesen Beruf gewählt?
Ich arbeite sehr gerne mit Menschen, gleichzeitig möchte ich mich auch künstlerisch betätigen und meine Begeisterung für Kunst und Kultur weitergeben. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, vor allem auch Jugendlichen und jungen Erwachsenen Kunst und Kultur näher zu bringen, in meinem Fall besonders Theater. Theater kann so viel bewirken! Es stärkt das Selbstbewusstsein und verhilft zu einem guten Körpergefühl. Durch das Schlüpfen in unterschiedliche Rollen können die TeilnehmerInnen verschiedene Meinungen und Haltungen kennenlernen. Im Laufe eines Theaterprojektes erfahren sie Gemeinschaft und lernen Verantwortung in einer Gruppe zu übernehmen. Ich finde es auch toll, wenn ich gemeinsam mit der Gruppe ein eigenes Stück entwickeln kann und die SchauspielerInnen ihre eigenen Texte schreiben, die wir dann mit in das Stück einfließen lassen. Theater schafft Begegnungen! Diese Begegnungen können zwischen den unterschiedlichsten Menschen stattfinden. Das ist spannend und zugleich bereichernd für die TeilnehmerInnen und das Projekt. Begegnungen möchte ich auch zwischen geflüchteten Menschen und Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind, schaffen. Das kann ebenfalls über Theater geschehen, es gibt aber noch viele andere Möglichkeiten der Begegnung, die ich ebenfalls fördern möchte.
Gab es Widerstände bei der Wahl Ihres Berufes?
Mussten Sie dafür kämpfen das zu sein was Sie heute sind oder lief alles glatt?
Ich hatte das Glück, dass meine Eltern mich sehr unterstützt haben, als es um die Wahl meines Studiums ging. Die Kombination Theaterwissenschaft, Pädagogik und Soziologie ist zwar toll, aber auch etwas außergewöhnlich und nicht unbedingt ein Garant dafür, dass man sofort einen Job findet. Meinen Eltern war aber auch klar, dass ich mit einem BWL-Studium niemals glücklich geworden wäre. Während der Semesterferien habe ich mehrere Praktika gemacht, um herauszufinden, in welchem Bereich in gerne arbeiten würde. Das war sehr wichtig, da bei einem Magister-Studium mit drei Fächern nicht automatisch klar ist, welchen Beruf man danach ausüben wird. Nach dem Studium habe ich berufsbegleitend noch die Ausbildung zur Theaterpädagogin BuT absolviert. Das war zum Teil sehr stressig, weil ich an vielen Wochenenden gearbeitet habe und an den anderen „freien“ Wochenenden für die Theaterpädagogik-Ausbildung zum OffTheater nach Neuss gefahren bin. In dieser Zeit habe ich meine Freunde eher selten gesehen und musste viele Einladungen absagen. Trotzdem bin ich froh, dass ich diese Zusatzausbildung gemacht habe. Ich habe dort so viel gelernt! Mir ist es wichtig, dass ich mich auch nach Abschluss meines Studiums weiterbilde. Ich möchte nicht stehen bleiben, sondern immer in Bewegung sein, auch geistig. Ich könnte mir gut vorstellen, dass ich irgendwann noch die Ausbildung zur Theatertherapeutin absolviere.
Muss man in Ihrem Beruf mutig sein?
In meinem Beruf ist es wichtig, immer wieder neue Dinge auszuprobieren und neue Wege einzuschlagen. Ein bisschen Mut gehört also manchmal schon dazu.
Wie sieht ein normaler Tag in Ihrem Leben aus?
Meine Tage sehen sehr unterschiedlich aus und das ist auch das schöne an meiner Tätigkeit. Es kann sein, dass ich den ganzen Tag im Büro bin und mich zum Beispiel um Förderanträge oder administrative Tätigkeiten kümmere. An manchen Tagen bin ich auch viel unterwegs, z.B. in Frankfurt oder in Wetzlar und unterstütze dort die Malteser Integrationsdienste vor Ort. Ich halte viele Schulungen, zum Beispiel zu dem Thema „Prävention und Intervention sexualisierter Gewalt“. Ich kümmere mich um die ehrenamtlichen Integrationslotsen der Malteser hier im Landkreis Limburg-Weilburg, d.h. dass ich sie schule, Fortbildungen und Austauschtreffen organisiere und mit ihnen gemeinsam Integrationsprojekte initiiere. Besonders gerne mag ich die musisch-kulturellen Integrationsprojekte. Ich habe für die Malteser z.B. zwei biografische Theaterprojekte mit Geflüchteten und jungen Menschen aus Limburg und Umgebung geleitet und vor kurzem ist unser integrativer Projektchor gestartet.
Was bedeutet Heimat für Sie und ist es mutig eine neue Heimat finden zu wollen?
Ich habe mich im Rahmen der beiden Theaterprojekte mit Geflüchteten gemeinsam mit der Gruppe intensiver mit dem Thema „Heimat“ auseinandergesetzt. Das hat automatisch dazu geführt, dass ich mich auch selbst gefragt habe, was „Heimat“ für mich bedeutet. In diesem Zusammenhang ist mir sofort der Spruch „Home is where your heart is“ eingefallen. Mein Herz ist definitiv bei meiner Familie. Ich bin mit meinen Eltern, meiner Schwester und meinen Großeltern in einem Haus aufgewachsen und auch meine Tanten und Onkel wohnen nicht weit weg. Sie fallen mir sofort ein, wenn ich an den Begriff „Heimat“ denke. Mir ist aber auch klar geworden, dass mein Herz auch an dem Ort hängt, in dem ich aufgewachsen bin. Dagegen hatte ich mich lange gewehrt und bin zum Studium erst einmal weggezogen. Dieser Schritt war sehr wichtig für mich. Nach dem Studium bin ich aus beruflichen Gründen wieder zurück in die Gegend gekommen, wo ich die ersten 19 Jahre meines Lebens verbracht habe. Seit einigen Monaten wohne ich sogar wieder in dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin. Ich musste aber erst weggehen, um wiederkommen zu können.
Ich finde es sehr mutig, wenn Menschen eine neue Heimat finden möchten. Viele haben keine andere Wahl und müssen eine neue Heimat finden, weil in ihrer alten Heimat Krieg oder Hunger herrscht. Es ist wichtig, dass wir diesen Menschen dabei helfen, hier eine neue Heimat zu finden.
Gibt es eine Frau, die Sie besonders mutig finden? Warum?
Sophie Scholl ist eine mutige junge Frau gewesen. Sie hat mit schon während meiner Schulzeit sehr beeindruckt und ihre Biografie ist mir immer wieder begegnet. Ich habe sie z.B. zweimal als Rolle in Theaterprojekten gespielt und habe mich daher noch mehr mit ihr und ihrem Leben beschäftigt. Ich finde es mutig, dass sie für ihre Überzeugungen eingestanden ist und sich gegen die Nationalsozialisten zur Wehr gesetzt hat. Ich habe tiefsten Respekt für diese Frau, die trotz ihres jungen Alters eine solche Klarheit besessen hat und ihr Leben riskiert hat, um auf die Gräueltaten der Nationalsozialisten aufmerksam zu machen.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Schwierigkeiten und Herausforderungen, denen sich eine junge Frau stellen muss und was raten Sie jungen Frauen von heute?
Die Erwartungen an (junge) Frauen sind sehr hoch: Karriere machen, gleichzeitig aber ganz viel Zeit für Kinder, Partner und Familie haben, und dabei am Besten aussehen, als würde man gerade von einem Wellness-Wochenende kommen… Der Tag hat aber nur 24 Stunden und man kann nicht immer in allem perfekt sein. Ich kann jungen Frauen nur raten, sich nicht mit anderen zu vergleichen, sondern bei sich zu bleiben.
Was ist Ihre Definition von Mut?
Mut bedeutet für mich nicht, dass man keine Angst hat. Ganz im Gegenteil, ich finde es mutig, wenn man etwas tut, gerade weil man Angst davor hat. Es ist mutig, wenn man sich den eigenen Ängsten stellt. Mut kennzeichnet sich für mich auch dadurch, dass man Herausforderungen annimmt, auch wenn der Ausgang ungewiss ist. Menschen zeigen mutiges Verhalten, wenn sie gegen Ungerechtigkeit ankämpfen und Zivilcourage beweisen.
Waren Sie schon einmal mutig?
Ja. Im Sinne meiner Definition finde ich es wichtig, mutig zu sein.
Wir schreiben das Jahr 2016. Leben wir in einer gleichberechtigten Gesellschaft? Zumindest in Deutschland?
Im Vergleich zu vielen anderen Ländern auf dieser Welt geht es uns Frauen sehr gut in Deutschland. Trotzdem leben wir noch nicht in allen Bereichen in einer gleichberechtigten Gesellschaft. Frauen verdienen noch immer weniger Geld als Männer, es gibt viel mehr männliche Führungspersonen und auch im Bildungsbereich ist der Großteil der Professoren männlich. Es gibt also auch hier noch einiges zu tun. Ich war neun Jahre auf einer Mädchenschule und bin dort sehr selbstbewusst und gestärkt heraus gegangen. Ich hatte zum Glück nie das Gefühl, dass ich irgendwas nicht tun kann, weil ich eine Frau bin.
Warum ist Bildung wichtig?
Ich habe vor kurzem eine Biografie von Malala gelesen, die von den Taliban in den Kopf geschossen wurde, weil sie sich für die Schulbildung (vor allem für Mädchen) in Pakistan eingesetzt hat. In diesem Buch ist auch die Rede veröffentlicht, die sie 2013 vor den Vereinten Nationen gehalten hat. Dieser Auszug hat mich besonders beeindruckt: „Lasst uns zu unseren Büchern und Stiften greifen. Das sind unsere mächtigsten Waffen. Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern. Bildung ist die einzige Lösung. Bildung geht vor.“Bildung ist für mich etwas Kostbares; Bildung ist etwas, das einem keiner wegnehmen kann. Bildung erweitert den eigenen Horizont und zeigt einem die eigenen Möglichkeiten und Grenzen auf. Man trägt sie in sich und kann damit die Welt verändern.
Gibt es in Ihrem Leben einen Menschen (einen Lehrer oder einen Verwandten oder eine andere Person) von dem Sie wirklich etwas gelernt haben?
Ich bin mit meinen Großeltern in einem Haus aufgewachsen, was ich als große Bereicherung empfunden habe. Sie haben mich sehr geprägt und von ihnen habe ich viel gelernt. Es ist so wichtig, dass Kinder auch mit der Großeltern-Generation in Kontakt kommen. Junge und alte Menschen können viel von einander lernen und profitieren.
Was hat Ihnen Angst gemacht, als Sie ein Kind waren und gibt es etwas, dass Ihnen heutzutage Angst macht?
Ich kann mich daran erinnern, dass ich als Kind Angst vor Krieg hatte. Heute sorgt es mich ebenfalls, dass es so viele Kriege auf der Welt gibt. Ich frage mich auch, wie es so weit kommen konnte, dass in Amerika ein Präsident wie Donald Trump gewählt werden konnte und warum die Briten aus der EU austreten wollen.
Was wünschen Sie den Kindern von morgen?
Ich wünsche den Kindern, dass sie in einer friedlichen und gerechten Welt leben. Ich wünsche ihnen Menschen, die ihnen Halt und Sicherheit schenken und dass sie von Erwachsenen umgeben sind, die sie vor rassistischem, sexistischem und diskriminierendem Verhalten schützen und als Vorbilder fungieren. Ich wünsche ihnen, dass sie nicht den ganzen Tag in der digitalen Welt versinken, sondern rausgehen und die Natur erkunden. Ich wünsche ihnen, dass sie viele Bücher lesen und in Geschichten eintauchen können. Ich wünsche ihnen auch Langeweile, denn aus Langeweile entsteht Kreativität. Ich wünsche ihnen Begeisterung, auch für die kleinen Dinge. Und ich wünsche ihnen, dass sie das Spielen nicht vergessen, wenn sie erwachsen werden. Theaterspielen ist dafür genau das Richtige! Max Reinhart hat einmal gesagt „Ich glaube an die Unsterblichkeit des Theaters. Es ist der seligste Schlupfwinkel für diejenigen, die ihre Kindheit heimlich in die Tasche gesteckt und sich damit auf und davon gemacht haben, um bis an ihr Lebensende weiter zu spielen.“